Mit der Nutzung dieser Website erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies gemäß unserer Datenschutzerklärung einverstanden.

OK
 

gesellschaftfürkünstlerische forschung

 
 
<

Anfänge


Wozu forschen? Das Projekt <reformpause> von Marion von Osten

Marion von Osten: <reformpause>, 2006, Rauminstallation, Ausstellungsansicht
(Foto: Courtesy Kunstraum der Leuphana Universität Lüneburg, Archiv Labor k3000/cpkc)

Liebe Abonnent*innen,

wir begrüßen Sie zum Start einer neuen Reihe von Newslettern, mit der wir als Gesellschaft für künstlerische Forschung ein besonderes Augenmerk auf exemplarische Praktiken des künstlerischen Forschens richten wollen.

Der neue Newsletter möchte auf diese Weise ein Archiv der sehr verschiedenen künstlerischen Wissensformen, ihrer Themen und Verfahren anlegen und damit auch einen Einblick in die Genealogie der künstlerischen Forschung geben. Um ihre Bandbreite abzubilden, möchten wir Ihnen regelmäßig eine entweder historische oder aktuelle künstlerisch-forschende Praxis vorstellen, die uns im Kontext eines ausgewählten Themas relevant erscheint.

Passend zum Thema Anfänge beschreibt unser Beiratsmitglied Peter Spillmann in dieser ersten Ausgabe das Projekt Reformpause der Künstlerin Marion von Osten aus dem Jahr 2005/06.

Wir hoffen, Sie finden Freude an dem neuen Format. Wir freuen uns auf den Austausch mit Ihnen!

Herzliche Grüße, Kathrin Busch, Karina Nimmerfall, Mathias Zeiske (Präsidium) Max Liebstein (Redaktion)

Anfänge sind stets vielfältig. In der Diskussion um künstlerische Forschung lässt sich ein Anfang sicherlich im sogenannten Bologna-Prozess verorten, mit dem, vor dem Hintergrund einer neoliberalen Interpretation von Wissensgesellschaft, ab 1999 weitreichende Reformen in der europäischen Bildungslandschaft umgesetzt wurden. Begründet wurden diese mit einer neuen, wirtschaftlich motivierten Innovations-Rhetorik, der sich durchaus auch die Formel „künstlerische Forschung“ zuordnen ließ – als Wendung, die nahelegen sollte, dass künstlerische Vorhaben mit wissenschaftlichen gleichziehen und sich in akademische Prozesse einpassen könnten.

Die Künstlerin und Kuratorin Marion von Osten untersuchte diese Entwicklungen im Rahmen mehrerer Projekte, unter anderem in Be Creative! Der kreative Imperativ (2002/03), das sie gemeinsam mit Studierenden der ZHdK erarbeitet hatte. Dieses Projekt handelte von den Reformen der Hochschulen und dem Begriff „Kreativität“, der in den 1990er Jahren zu einer zentralen rhetorischen Konstante geworden war. Kreative Lösungen wurden fortan nicht mehr ausschließlich von Künstler*innen oder Gestalter*innen, sondern zum Beispiel auch von Blue-Collar-Arbeiter*innen erwartet. Die Creative Industries und die durch sie hervorgebrachte Creative Class hatten Konjunktur. In der kritischen Theorie waren außerdem die „umherschweifenden Produzenten“ von Negri/Lazzarato/Virno ein vieldiskutiertes Modell. In diesem größeren gesellschaftlichen und auch politischen Kontext muss die Verschiebung der Funktion und Bedeutung der Arbeit von Künstler*innen gesehen werden, um die Aneignung des Begriffs „künstlerische Forschung“ auch, und vielleicht sogar in erster Linie, als strategische Positionierung der Kunstschaffenden selbst verstehen zu können.

Auch das Projekt <reformpause> von 2005/06, welches ich untenstehend vorstellen möchte, beschäftigte sich mit eben jenen Rhetoriken und ihrer Auswirkung auf die Bildungsreform. Mir scheint dabei entscheidend zu sein, dass die spezifischen Vorgehensweisen und Methoden von <reformpause>, die wir heute als wesentlich für künstlerische Forschung bezeichnen würden, in den 1990er Jahren bereits in vielen Projekten erprobte Praxis waren, ohne als solche bezeichnet zu werden: Kollaborative Formen des Arbeitens und Recherchierens, der Fokus auf aktuelle gesellschaftliche Prozesse aus einer transdisziplinären Perspektive und die damit verbundene Verknüpfung von verschiedenen Akteur*innen und Expertisen, ein grundsätzlich institutions-reflexiver Ansatz, die Wiederverwendung und Re-Inszenierung von historischem Material, Experimente mit Formaten wie Workshop, Treffen oder Konferenz als kulturelle und soziale Anlässe oder kontextspezifisch reflektierte Raumsettings, welche gängige Ausstellungsformate vermieden ohne auf Ausstellungen zu verzichten. Mit der Erweiterung von Begriffen wie site-specific (Miwon Kwon) oder Participatory Art (Claire Bishop) wurde diese Entwicklung auch kunsttheoretisch reflektiert. Projekte wie If You Lived Here von Martha Rosler aus dem Jahr 1989 oder Andrea Frasers Bericht: E.A. Generali Foundation von 1995 waren wichtige Referenzen einer partizipativen und investigativen künstlerischen Praxis.

Bei mir im Bücherregal bin ich allerdings noch auf einen ganz anderen Anfang gestoßen. Dort stehen die Bücher Art After Philosophy and After – Collected Writings, 1966–1990 (1993) von Joseph Kosuth und Robert Smithson – The Collected Writings (1979) nebeneinander. Kosuths radikale Forderung, die Geschichte der Kunst nicht länger als eine Genealogie von Artefakten zu begreifen, sondern als einen kontinuierlichen, situationsbezogenen Prozess der Befragung von Sinn und Bedeutung, ist ein wichtiger Schritt zu einem werkunabhängigen Verständnis von künstlerischer Praxis, die sich als eine Form von philosophisch-gesellschaftlicher Reflexion ständig neu konstituiert. Seine als Investigations bezeichneten Installationen wurden im Kunstraum dennoch in erster Linie als Werke rezipiert, während Nancy Holts und Robert Smithsons herumlungerndes Erforschen von realen Orten sich der Werkkategorie länger entziehen konnte. Denn hier: im Tun, in der Aktion, im Zuhören, im Diskutieren, im Gehen, im Durchsehen von Papieren und Materialien und im Erkunden von Archiven liegt ein zentraler Aspekt künstlerisch-forschender Praxis.
Genau dies lässt sich am Projekt <reformpause> nachvollziehen. In ihm wurde Wissen als eine Form von Aktivierung in einem spezifischen Moment, in einem aktuellen institutionellen Kontext und als sozialer Akt ins Spiel gebracht: als Gegenmodell zur Bologna-Version eines eben-gerade-wirtschaftlich-nützlichen Wissens und als feministische Kritik an der Idee universeller Erkenntnis.

<plakat> Ausgabe Nr. 1, Wandzeitung erschienen zur Ausstellung <reformpause>
(Bild: Archiv Labor k3000/cpkc)